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Darmstädter
Kolloquiumsplakate

Darmstädter
Eine Auswahl von Plakaten
zum mathematischen Kolloquium
der TU Darmstadt
über 46 Jahre



Ich freue mich über den freundlichen Widerhall, den meine Plakate zur Ankündigung des Mathematischen Kolloquiums an der Technischen Universität Darmstadt im Laufe von mehr als 45 Jahre gefunden haben. Die neueren werden nun in Form von Videos auf der Webseite von Dr. William LaMartin vorgestellt. Es ist vermutlich hilfreich, der Wiedergabe einige erklärende Bemerkungen voranzuschicken.

Das ,,Kolloquium“
als akademische Einrichtung


Die meisten Universitätsinstitute pflegen die Tradition eines Kolloqiums. Die Gebräuche sind dabei ganz verschieden. Ein Kolloquiumsvortrag wird in der Regel von einem Gast gehalten, der über einen wissenschaftlichen Gegenstand aus seinem Fachgebiet spricht; gängig sind auch Überblicksvorträge über die jüngsten Fortschritte oder die Entwicklungsgeschichte dieses Gebietes. Manche Traditionen sorgen für eine reservierte Kolloquiumszeit im Stundenplan der Woche, andere erlauben die Festlegung von Terminen nach Bedarf und Verabredung. Die Traditionen der Kolloquien an den Mathematischen Instituten in der ganzen welt sind von einer bunten Vielfalt.



Das Mathematische
Kolloquium in Darmstadt


Seit dem Sommersemester 1983, vor allem auf das Betreiben von Rudolf Wille, faßte der Fachbereich Mathematik der Technischen Universität Darmstadt (die damals noch Technische Hochschule hieß) den Beschluß, seinem Kolloquium einen formellen Rahmen zu geben. In der Wochenmitte ist der Mittwoch Nachmittag ab 17 Uhr cum tempore dem Mathematischen Kolloquium reserviert. Tee gibt es eine halbe Stunde vorher im Foyer. Keine anderen Veranstaltungen des Fachbereichs finden zu dieser Zeit statt: Keine Vorlesungen, keine Seminare, keine Übungen, keine Tutorien. Damit haben alle Gruppen des Fachbereichs stets Zugang zum Kolloquium, wenn sie diesen wahrzunehmen wünschen. Der Fahrplan für das Kolloquium in einem Semester wird im vorausgegangenen Semester komplett festgelegt und ist vor Semesterbeginn längst publiziert. An der Gestaltung des Kolloquiums beteiligen sich alle Dozenten durch ihre Vorschläge von Kolloquiumsgästen; in der Regel wird die Einladung von demjenigen organisiert, der den Gast vorschlägt. Es gibt aber einen Kolloquiumsbeauftragten, welcher von einer Kommission von zwei weiteren Kollegen unterstützt wird; diese Gruppe ist für das Kolloquium und seine Gestaltung verantwortlich.

Als Anlage zu ihrem Einladungsbrief erhalten die Gastvortragenden einen Text, den wir am besten hier wiedergeben, weil er die erklärte Absicht des Fachbereichs ausdrückt, Kolloquiumsvorträge einem möglichst großen Zuhörerkreis zugänglich zu machen:

Das Mathematische Kolloquium am Fachbereich Mathematik der Technischen Universität Darmstadt ist eine gemeinsame Veranstaltung des gesamten Fachbereichs zur Unterrichtung von Dozenten und Studierenden über aktuelle Fragen der Forschung auf einem Gebiet der Mathematik, der Geschichte der Mathematik, der Lehre der Mathematik oder einem interdisziplinären, die Mathematik berührenden Gegenstand. Vorträge können einer Übersicht oder einem Einzelthema gewidmet sein.

Jeder Vortrag soll in der Exposition und einem wesentlichen Teil seiner Durchführung einem breiten Fachpublikum, das auch Studenten und Teilnehmer aus benachbarten Fachbereichen umfaßt, zugänglich sein. Für Mitteilungen technischer Sachverhalte aus der Forschung, die sich an Spezialisten richten, hat der Fachbereich ein vom Kolloquium gesondertes Gastvortragsprogramm.

Wichtiges Charakteristikum des Kolloquiums ist es also, sich an alle Hörer aus dem Fachbereich und Interessierten aus Nachbardisziplinen zu wenden.

In Darmstadt gibt es kein Kolloquiumsbuch. Indessen werden mindestens die Vortragstitel und -gegenstände dauerhafter dem Vergessen entrissen durch eine ganz andere Institution: Die Darmstädter Kolloquiumsplakate. Kaum hat der Gast seinen Fuß in die Eingangshalle des Mathematikgebäudes gesetzt, wird der Ankömmling durch das Plakat willkommen geheißen. Diese Tradition geht auf den Beginn der ,,Neuen Serie“ des Darmstädter Mathematischen Kolloquiums im Jahre 1983 zurück. Die Plakate gehen alle ins Archiv; die dadurch angehäufte Sammlung ist nicht unbeträchtlich.


Die Plakate


Ein Plakat ist eine Graphik, die dem Zweck dient, für ein Produkt oder eine Dienstleistung zu werben. Demzufolge verbindet es einen typographischen mit einem bildlichen Entwurf. Die gedruckte Nachricht wird im Regelfall gestützt oder hervorgehoben durch eine bildhafte Darstellung, deren Aufgabe es ist, die Aufmerksamkeit des Beschauers zu erregen und auf die Nachricht zu lenken.

Die Werbung für eine mathematische Vorlesung ist eine Herausforderung besonderer Art. Einerseits stimmt es sicherlich, daß die meisten mathematischen Inhalte ohnehin einen graphischen Bezug haben. So haben die meisten Mathematiker eine eher räumlich orientierte Intuition und weniger eine verbale. Das begriffliche Denken kommt mit bildlichen Vorstellungen einher, die Mathematiker im Vollzug des schöpferischen Prozesses erzeugen, die sie aber gemeinhin nicht mitteilen. Gleichwohl greifen Mathematiker im Unterricht immer wieder aus gutem Grund auf Tafelzeichnungen zurück und bieten in Lehrbüchern graphische Illustrationen in großer Zahl. Andererseits vermeidet man jedoch in Büchern auf Forschungsniveau, in Monographien, sowie in Zeitschriftenartikeln die bildhafte Illustration. Es ist einfach modisch geworden, daß der Verfasser vom Leser erwartet, dieser möge sich selbst eine Vorstellung machen und sich die Bilder, die im Druck fehlen, in seiner Vorstellung erzeugen.

Alle diese Fakten sind aber ziemlich nutzlos, wenn es darum geht für eine Mathematikvorlesung auf einem Wandplakat zu werben. Die Aufgabe ist hier, zu überreden. Ein Mathematiker muß seinen Zuhörer oder Leser von der logischen Wahrheit überzeugen; der Plakatgraphiker indessen muß die Aufmerksamkeit von Personen erregen, die achtlos am bewußten Platz auf dem Weg zu den täglichen Aufgaben vorbeihasten. Vielleicht gelingt dies durch den Versuch, zu unterhalten und irgendwie die Routine zu brechen. Das Plakat soll die Vorübereilenden einen Moment lang aufhalten, und sei es auch nur, um zu schauen, womit der Kolloquiumsgraphiker diese Woche wieder die Leute ins Kolloquium zu locken versucht. Ein Erfolgserlebnis hat der Plakatgraphiker dann, wenn ihm die Hausmeister erzählen, sie blieben jede Woche stehen, um einmal nachzuschauen, was diesmal los ist—unabhängig von ihrer Beziehung zu dem Gegenstand des Vortrags, für den geworben wird.

Die meisten Titel von mathematischen Vorträgen geben nicht viel Material für eine Plakatankündigung her. Da muß oft eine Kartikatur einspringen; nicht selten ein Kalauer; diese sind meistens abhängig von der Sprache und lassen sich nicht leicht übersetzen. Ab und zu ist ein Bezug zu irgend einem aktuellen Medienereignis hilfreich, das der Betrachter wiedererkennen kann und ihm nahelegt, auf das Kolloquium zu achten. Daher sind die Darmstädter Kolloquiumsplakate oftmals Cartoons. Mittlerweile wird geradezu erwartet, daß die Kolloquiumsplakate manchmal als comics erscheinen. Die Aufgabe des Graphikers ist diffizil. Um im Entferntesten eine Ahnung zu haben, was die in den Vortragstitel angesprochenen Gegenstände sein könnten, muß er ein Mathematiker sein. Er muß ein Karikaturist sein und sicher ein Typograph, um die Textankündigung auf dem Plakat zu transportieren. Er muß ein Gebrauchsgraphiker sein, um die verschiedenen Bildkomponenten so zu komponieren, daß die Regeln eines ordentlichen Bildaufbaus wenigstens minimal erfüllt sind. Ich mußte lernen, daß die vom graphischen Gesichtspunkt aus besten Designs nicht immer die populärsten und wirksamsten Poster abgeben. Gelegentlich ist der Bildinhalt ein wenig obskur (manchmal absichtlich, manchmal mangels überragender Einfälle). Dann kann man beobachten, wie Betrachter darüber zu rätseln beginnen, was wohl gemeint gewesen sein könnte. Damit ist aber schon der Zweck erfüllt, den ein Plakat hat: Über sich selbst hinauszeigend werbewirksam zu werden.


Techniken


Die Produktion der Plakate findet unter wenig professionellen Umständen statt. Der Graphiker hat ein kleines Atelier in seiner Arbeitsgruppe; es enthält für die Plakatherstellung das notwendige Material. Die Ausstattung ist wenig aufwendig. ursprünglich wurde das Papier wird von hilfreichem Personal besorgt; hier setzten sich die Sekretärinnen und die Hausmeister ein, um von den örtlichen Zeitungen, Druckereien oder Verlagen Überschußmaterial zu bekommen. Wir erhalten Rollen von Restposten, die uns gute Dienste leisten und benützen zur Zeit Halbglanzpapier wie es zur Produktion von Illustrierten benützt wird. Das Format der Plakate beträgt ungefähr 1, 20m x 0,45m. Vormals waren die Plakate in der Eingangshalle des Mathematikgebäudes auf einer großen, dem Kolloquium vorbehaltenen Pinwand direkt auf einen permanent dort angebrachten festen Karton aufgesteckt, welcher in großen Buchstaben dauerhaft auf das Kolloquium hinwies. Später wurden sie unter Glas und unter Verschluß magnetisch angepinnt.

Ursprünglich wurden die Plakate mit farbigen Filzstiften gezeichnet. Später kamen Temperafarben dazu. Das Medium der Filzstifte bestimmt die Typographie. Die Plakate werden an Wochenenden hergestellt, Samstags oder Sonntags.

Den ersten Kunstunterricht genoß ich im Gymasium Geislingen bei Eduard Waldraff; er hat mich im frühen Alter beeinflußt und bei ihm lernte ich erstmals graphische Techniken wie Linol-und Holzschneiden und Radierungen. An der Universität Tübingen nahm ich Unterricht bei Gerd Biese. An sich wird an den Universitäten ja keine Atelierkunst unterrichtet. Tübingen hatte ein Universitätszeicheninstitut mit einem wunderbaren Atelier unter den Glasdächern der ,,Neuen Aula“; dieses wurde seinerzeit von dem ,,Universitätszeichenlehrer“ geleitet, der neben vielen anderen kunstpädagogischen Aufgaben Zeichenkurse für Naturwissenschaftler gab. Er war mein Lehrer in Kursen über Landschaftszeichnen, Kompositionslehre, Holzschnitt und Lithographie. Kunstgeschichtliche Vorlesungen hörte ich in Tübingen unter anderem bei Wilhelm Boeck und Hubert Schrade. Das Mittelalter und seine Kunst haben seit jener Zeit eine Faszination auf mich ausgeübt, die gelegentlich in den Zeichnungen der Plakate zum Vorschein kommt. Meine akademischen Lehrer in der Mathematik waren in Tübingen Bertram Huppert, Erich Kamke, Hellmuth Kneser, Max Müller, Günter Pickert, Helmut Wieland und Karl Zeller.


Danksagungn


Dank schulde ich dem Fachbereich für den Zuspruch, den ich stets hatte; insbesondere haben mich Benno Artmann, Jürgen Lehn, und Gerlinde Gehring ermutigt. Die letzte hat das Archiv aufgebaut und durchorganisiert; ohne sie wäre aus diesem Unterfangen nichts geworden.

Ein Teil der bis 1998 gefertigten Plakate wurde als Buch veröffentlicht und diente als Katalog zu der Ausstellung, die im Rahmen des Internationalen Mathematikerkongresses in Berlin 1998 an der Technischen Universität Berlin organisiert wurde. Viele Kollegen haben dazu beigetragen, dass es hierzu kommen konnte. Norbert Schmitz vom Institut für Mathematische Statistik der Universität Münster hat mich durch sein Interesse an den Plakaten und einer möglichen Veröffentlichung einer Auswahl sehr ermutigt. Gerd Fischer von der Universität Düsseldorf hat in professioneller Weise eine zweite Gruppe der Plakate photographiert; als Herausgeber der Mitteilungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung hat er eine Auswahl im Band 1996, Seiten 22–35, veröffentlicht. Viele davon sind in dieser Sammlung aufgenommen. Helmut Mäurer schrieb damals ein Geleitwort, für das ich ihm herzlich danke. Renate Gruber hat eine dritte Gruppe von Plakaten, welche zur Erstellung dieses Katalogs erforderlich waren, professionell photographiert. Von der Endfertigung des Buchs ist zu sagen, dass niemand einen schöneren Katalog hätte gestalten können als Walter Wilkes, Professor für Typographie und Druckkunst an der Technischen Universität Darmstadt; in materieller und künstlerischer Hinsicht hat er entscheidend zum Entstehen dieses Buches beigetragen. Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung organisierte die Retrospektive aus Anlaß des Internationalen Kongresses in Berlin in 1998 und hat die Produktion des Buches materiell unterstützt.

Danach wurden dann die das Mathematische Kolloquium ankündigenden Plakate am Fachbereich Mathematik der TU Darmstadt fast zur Routine. Gerlinde Gehring sorgte für die Archivierung der Originale und betrieb deren digitale Erfassung. Der langjährige Vorsitzende des Kolloquiumbeirates, Professor Reinhard Farwig förderte und unterstützte stets die graphische Werbung für das Kolloquium. Der Fachbereich Mathematematik nahm das digitale Archiv sämtlicher Kolloquiumsplakate in seine Webseite auf. Das Archiv beginnt beginnt mit einem Plakat am 13. April 1983. (Im Wintersemester 1986-87 gab es keine Plakate; der Graphiker befand sich auf einem Forschungsaufenthalt an der Tulane University in New Orleans.) Der Fachbereich trug die materielle Infrastruktur, die schliesslich zur Erstellung, Reproduktion und Digitalisierung der Plakate erfordelich war. In 2018 wurde die zweite Hälfte des Archivs mit außerordentlicher Kompetenz und großem Engagement durch Dr. William LaMartin in Form einer Videopräsentation zugänglich gemacht, wofür ich ihm ganz herzlich danke. Im Jahr 2019 soll das Archiv der Originale dem Universitätsarchiv der Technischen Universität Darmstadt übertragen werden.

Karl Heinrich Hofmann